Zu Beginn meiner zweiten chirurgischen Rotation in der Gefässchirurgie hatte ich nur eine vage Vorstellung davon, was mich erwarten würde. Doch schon bald offenbarte sich mir die beeindruckende Vielfalt dieses Fachgebiets – ein Zusammenspiel aus offenen, endovaskulären und konservativen Therapieansätzen in dem Wissen, dass chirurgisches Geschick und klinische Entscheidungsfindung Hand in Hand gehen. Zwischen OP-Saal, Sprechstunde und Stationsarbeit gab es kaum Momente des Stillstands.
Besonders eindrucksvoll wurde mir in den vergangenen Monaten bewusst, welche essenzielle Rolle der Faktor Zeit in der Gefässchirurgie spielt – time is tissue. Ob das rasche Erkennen eines akuten arteriellen Gefässverschlusses anhand der „6 Ps“ (pain, pallor, pulselessness, perishingly cold, paraesthesia, paralysis), die kritische Evaluation zwischen Lebensrettung und Extremitätenerhalt – life before limb – oder die Koordination eines Schockraums mit der Organisation eines Notfall-OPs: Die Lernkurve war steil.
Auch die Leitprinzipien dieser Disziplin prägten den Alltag – sei es die Entscheidung für eine CT-Angiographie bei diagnostischer Unsicherheit im operativen Management (When in doubt, get a CTA) oder die für den Therapieerfolg essenziellen, postoperativen Verordnungen (Heparin today keeps the thrombectomy away).
Doch gerade die Dynamik dieses Fachgebiets – die Geschwindigkeit und Präzision, mit der Diagnosen gestellt und Entscheidungen getroffen werden müssen – schärften nicht nur meine medizinischen Fertigkeiten, sondern auch das Selbstvertrauen und die Durchsetzungsfähigkeit im Alltag.
Ein wesentlicher Schlüssel zu dieser Entwicklung war das Team. Die gegenseitige Unterstützung, das kollegiale Teaching und die Sicherheit, bei jeder Frage auf erfahrene Kolleginnen und Kollegen zählen zu können, nahmen selbst den grössten Herausforderungen ihren Schrecken.
Ja, es gibt Tage, an denen man erschöpft nach Hause kommt und sich Gedanken macht, wie alles zeitlich zu bewältigen ist – wie man es schafft, den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden, ohne die eigene Gesundheit, die beruflichen Ambitionen und die Menschen, die einem am Herzen liegen, zu vernachlässigen. Aber es gibt auch jene Augenblicke, die alles aufwiegen. Momente, die einem das Gefühl geben, genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein und über den eigenen Horizont hinauszuwachsen. Wenn eine junge Patientin nach einem nächtlichen Notfalleingriff ihr Bein behält und weiter ihren Traum vom Leistungssport verfolgen kann oder wenn sich eine 92-jährige Patientin für das empathische Gespräch bedankt, während sie Geschichten aus dem vergangenen Jahrhundert erzählt. In diesen Momenten wird einem wieder deutlich vor Augen geführt, dass sich jede Mühe, jede schlaflose Nacht und jeder lange Dienst lohnt. Zumindest meistens ;)
Die Gefässchirurgie ist zweifellos ein anspruchsvolles und komplexes Fachgebiet, das gleichzeitig einen unschätzbaren Lehrwert bietet. Ich bin sehr dankbar, diese 6-monatige Rotation als Teil meiner chirurgischen Grundausbildung absolviert zu haben, da sie mir nicht nur fundierte fachliche Kompetenz, sondern auch eine gestärkte Resilienz in herausfordernden Notfallsituationen vermittelt hat. Besonders geschätzt habe ich die enge Zusammenarbeit mit einem grossartigen Team, das für alle Fragen stets ein offenes Ohr hatte. Ich kann diese Rotation jedem angehenden Chirurgen oder jeder angehenden Chirurgin nur von Herzen empfehlen – hier lernt man nicht nur die Feinheiten eines Fachgebiets, sondern auch, sich selbst und den Umgang mit den eigenen Ressourcen besser zu verstehen.