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Surgery Elsewhere

Einen Oberarzt wie in der Schweiz gibt es nicht

Two Years in Australia: Acute Care Surgery and Trauma Fellowship in Liverpool Hospital

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Mit 960 Betten, 23 Operationssälen und 60 Betten auf der Intensivstation ist das Liverpool Hospital eines der grössten Spitäler Australiens. Das Spital ist das Überweisungszentrum für den Südwesten von Sydney und versorgt ein Bevölkerungsgebiet von über einer Million Menschen. Es ist derzeit das einzige verifizierte «Level 1»-Traumazentrum in Sydney. Das Liverpool Hospital ist seit langer Zeit ein bekanntes Traumazentrum und hat seit 1998 regelmässig Trauma Fellows. Im Jahr 2019 fusionierte die Abteilung für Trauma mit der Abteilung für Akutchirurgie zur Abteilung «Trauma and Acute Care Surgery». Besagte Abteilung hat seither zwei Fellows im Wechsel zwischen Trauma- und Akutchirurgie. In den Jahren 2021/22 bin ich einer dieser beiden Fellows gewesen.

Anreise nach Australien

Ich bin im Internet auf die Stellenbeschreibung des Trauma-Fellow im Liverpool Hospital gestossen. Die Ausschreibung klang sehr interessant. In Absprache mit meinem Chef in Biel schickte ich also eine Mail an Dr. Malka, die Chefärztin der Trauma-Abteilung, und bat um weitere Informationen. Das Timing stellte sich als perfekt heraus: Die Stelleninterviews für den Job als Trauma Fellow waren noch im selben Monat (Juni). Nachdem ich rasch positiven Bescheid für die Stelle bekommen hatte, galt es, alle Formalitäten für meinen Stellenantritt am 1.Februar des Folgejahres zu erledigen. Ich habe nicht damit gerechnet, dass sich dies bereits als ein echtes Abenteuer herausstellen würde. Die Menge, der Umfang und die erforderliche Akribie an Administration waren schier endlos: Der Aufwand – von den Visa bei der australischen Einwanderungsbehörde über die Dokumente, um vom «Royal Australasian College of Surgeons» Äquivalenz zu erhalten (alle immer notariell beglaubigt und übersetzt) bis zum Papierkram, um sich von der australischen Gesundheitsbehörde als medizinische Fachkraft akkreditieren zu lassen (auch notariell beglaubigt und übersetzt, versteht sich) – erforderte zahlreiche Stunden an Papierarbeit und Behördengängen. Die Gesundheitsbehörde brauchte derart lange, um zu antworten, dass ich einige Dokumente erneut beglaubigen lassen musste, weil es unterdessen zu lange her war, um noch akzeptiert zu werden. Des Weiteren muss man einen Englischtest mit einer IELTS-Punktzahl von mindestens 7 bestehen. Letztendlich ist es mir gelungen, im Januar, ich war bereits in Australien, alle Formalitäten zeitgerecht fertigzustellen. Kurzum: Sollten Sie sich für ein Abenteuer im selben Land interessieren, stellen Sie sicher, dass Sie rechtzeitig anfangen, den Papierkram abzuarbeiten, damit sie rechtzeitig ankommen und in der Lage sind, arbeiten zu dürfen.

Eine Besonderheit meiner Erfahrung hier war, dass wir mitten in der COVID-Pandemie ankamen (was den Visa-Prozess ungleich erschwerte). Zu dieser Zeit war Australien noch grösstenteils COVID-frei und hatte deshalb eine Quarantäne eingerichtet. Daher mussten alle ankommenden internationalen Passagiere zwei Wochen lang in staatliche Quarantäne eines Regierungshotels, wo sie mehrmals PCR-getestet wurden. Ein Highlight dieser Erfahrung war (nebst der Erleichterung, dass es relativ geräumig war – die Vorstellung, zwei Wochen eingesperrt zu sein, wird ungleich dramatischer, wenn man kleine Kinder hat), dass unser Hotel im Zentrum von Sydney lag, sodass wir an Silvester von unserem Hotel aus einen schönen Blick auf das Feuerwerk im Hafen von Sydney hatten.

Die Trauma- und Akutchirurgie-Abteilung

Die Abteilung Trauma- und Akutchirurgie besteht aus vier Leitenden Ärzten, zwei Fellows und vier «Registrars» (erfahrene Assistenzärzte) sowie «Interns» and «Residents» (Block A-Assistenzärzte). Die Leitenden Ärzte teilen sich die Hintergrunddienste und es ist immer je einer zuständig für Trauma bzw. Notfallchirurgie (ein Rotationssystem). Auch wir Fellows rotieren zwischen Trauma und Notfallchirurgie, wobei wir aber bei interessanten Fällen jeweils zum anderen Team dazustossen.

Zusätzlich zum Tagesgeschehen ist die Trauma-Abteilung sehr aktiv bei der Umsetzung distriktweiter Richtlinien für die Behandlung von Trauma-Patienten. Sie ist die verantwortliche Stelle für das Management von Trauma-Patienten der fünf umliegenden Krankenhäuser. Es werden auch interdisziplinäre Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen durchgeführt, in welchen die Ergebnisse schwer verletzter Patienten analysiert werden.

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Bild 1: Ankunft eines Traumas der Stufe 1

Weiter spielt die Abteilung eine wichtige Rolle bei der Primärprävention von Traumata; sei es in Diskussionen zur Verkehrssicherheit auf politischer Ebene oder bei der Organisation von Trauma-Präventionsprogrammen für die Jugend in der Region.

Mein Job

Einen Oberarzt wie in der Schweiz gibt es nicht, man ist entweder Auszubildender oder Leitender Arzt. Das, was einem Oberarzt am nächsten kommt, ist der Fellow. Er ist die Schlüsselfigur zwischen den Registrars und den Consultants (Leitende Ärzte). Konkret heisst das: Die Assistenzärzte sehen die Patienten, informieren in der Folge den Fellow und dieser ist auch die zuständige Anlaufstelle bei Fragen. Man hat praktisch die Rolle des Oberarztes. In unserer Abteilung sind wir zwei Fellows, einer zuständig für Trauma und der andere zuständig für Trauma-Allgemeinchirurgie. Die beiden wechseln sich regelmässig ab.

Während der Rotation in der Abteilung Trauma bin ich dafür verantwortlich, zu allen Trauma-Aktivierungen der Stufe 1 zu gehen, welche tagsüber kommen (wenn ich nicht bereits im Operationssaal bin). Ein Trauma der Stufe 1 liegt vor, wenn ein schwer verletzter Patient eintrifft (Bild 1). In solch einem Fall wird automatisch ein Pager-Alarm an die notwendigen Fachrichtungen (Trauma, Anästhesiologie, Intensivmedizin, Radiologie etc.) gesendet. Ich werde also automatisch informiert. Ich bin auch die Bezugsperson für alle anderen Traumata, die eintreffen. Die operative Behandlung dieser Patienten ist selbstverständlich auch Teil meiner Arbeit. Ausserdem fungiere ich für die Patienten, welche auf der Station sind, als Stationsoberarzt.

In meinen Rotationen in der Allgemeinchirurgie ist das ähnlich, wobei ich tagsüber die Anlaufstelle für alle notfallchirurgischen Aufnahmen bin. Auch hier folge ich den Patienten in den Operationssaal. Zusätzlich zu den Trauma-Operationen und den Notoperationen haben wir auch eine geplante, wöchentliche Operationsliste für Allgemeinchirurgie. Ich habe jeden zweiten Dienstag Nachtdienst und jedes achte Wochenende Wochenenddienst. Die Dienstwochenenden dauern von Freitagmorgen bis Montagabend (Nächte inklusive), aber da dies nur eines von acht Wochenenden ist, ist es relativ überschaubar.

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Bild 2: Trauma and Acute Care Department-Chirurgen, v. l. n. r: Dr. Scott D’Amours, Leitender Arzt; Dr. Paul Lambrakis, stv. Chefarzt; Dr. Valerie Malka, Chefärztin; Dr. Romain Seppey, Fellow; Dr. Aditya Benjamin, Fellow.

Ein wesentlicher Teil meiner Arbeit liegt in der Bildung. Zusammen mit dem anderen Fellow führe ich wöchentliche Ausbildungen zu Traumata und Notfallchirurgie durch. Ausserdem unterrichte ich auch in ATLS-Kursen und DSTC-Kursen.

Zusammenarbeit mit anderen Fachdiensten

Als grosses tertiäres Zentrum können hier die Schwerstverletzten mithilfe von Herz-Thorax-Chirurgie, Gefässchirurgie, Plastischer Chirurgie, Neurochirurgie, Handchirurgie, Orthopädie etc. behandelt werden. Die Zusammenarbeit funktioniert sehr gut, die verschiedenen Teams sind stets hilfsbereit und kommunizieren gut miteinander.
Als Trauma Fellow ist es meine Aufgabe, den Patienten als Ganzes im Auge zu behalten. In dieser Rolle bringe ich mich in die Operationen mit den verschiedenen Subspezialitäten ein. Ein grosses Plus ist, dass ich auf diese Weise von anderen Fachrichtungen viel lernen konnte.

Eines der wichtigsten Teams, mit denen wir zu tun haben, ist das Team für interventionelle Radiologie. Die meisten Patienten mit erheblichen Verletzungen, die aktiv bluten, werden mithilfe der interventionellen Radiologie behandelt. Einer der Operationssäle ist speziell als Hybrid-Saal eingerichtet (Bild 3), um sowohl die chirurgischen als auch die interventionellen Behandlungen durchführen zu können, ohne die Patienten bewegen zu müssen.

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Bild 3: Hybrid Operationssaal in Aktion

Ausbildung in Australien

In Australien ist der Ausbildungsweg grundlegend anders als in der Schweiz. Wenn jemand sein Medizinstudium beendet, arbeitet er zunächst ein Jahr lang als «Intern», dann als «Resident» und dann als «Junior-Level» in verschiedenen Jobs, in der Hoffnung, in ein sogenanntes «Programm» aufgenommen zu werden. Der Einstieg in das chirurgische Programm ist eine Herausforderung und es kann viele Jahre dauern, bis ein Lebenslauf interessant genug ist, um anfangen zu können. Um den Einstieg möglich zu machen, muss man genug «Punkte» in seinem CV haben. Diese Punkte bekommt man für unterschiedliche Dinge (Forschung, publizierte Artikel, Arbeitserfahrung, Arbeit in abgelegenen Orten, Unterrichten etc.) und die erforderliche Punktzahl, um in das Ausbildungsprogramm aufgenommen zu werden, wechselt zusätzlich jährlich (sie wird dem Angebot angepasst). Es ist also nicht selten, dass Assistenzärzte einen Master in Chirurgie oder gar einen PhD machen, um mehr Punkte in ihren Lebenslauf zu bekommen, in der Hoffnung auf einen Platz in einem Ausbildungsprogramm. Sobald man jedoch in diesem Programm ist, handelt es sich um einen 5-jährigen Ausbildungsgang, der gestrafft ist. Ist man einmal im Programm, liegt es in der Verantwortung des Krankenhauses, sicherzustellen, dass der Auszubildende die Operationen erhält, die er benötigt, um Chirurg zu werden. Und die Sicherheit, es bis zum Ende zu schaffen, ist mehr oder weniger garantiert.

Zusammenfassend bedeutet dies, dass es (vorausgesetzt, man ist einmal in diesem Programm) ein gutes System ist, eine fundierte Ausbildung von Chirurgen zu ermöglichen. Das Problem ist allerdings, dass es oftmals viele Jahre dauert, um in das Programm aufgenommen zu werden. Manche versuchen es jahrelang, ohne jemals in ein Programm zu kommen. Die Qualität der Trainees im Programm war in meiner Zeit hier sehr hoch, das mag auch an der bereits vorhandenen Erfahrung liegen.

Australien ausserhalb der Arbeit

Sydney ist gross, sehr gross. Man kann mitten in der Stadt starten, eine Stunde in jede Richtung fahren und man ist immer noch in Sydney. Das bedeutet, dass die Entscheidung, wo wir leben würden, eine ziemlich wichtige war. Das Liverpool Hospital liegt im Westen, mehr als eine halbe Stunde von jedem Strand entfernt. Um ein authentisches australisches Erlebnis zu garantieren und weil wir kleine Kinder haben, wollten wir in Küstennähe wohnen. Also haben wir in den «Eastern Suburbs» nach einem Zuhause gesucht und wurden in «Randwick» fündig. Das bedeutet zwar, dass ich 45 Minuten Arbeitsweg habe (was in der Realität meist eher eine Stunde ist, der Verkehr ist einigermassen wahnsinnig hier und das öffentliche Verkehrsnetz leider recht ineffizient und unpopulär), aber auch, dass wir einen Kilometer vom Strand und nur wenig mehr von grossen Parks entfernt wohnen. Wir haben sechs verschiedene Strände in Fahrraddistanz (meine Frau bestreitet den Alltag ausschliesslich mit unserem Lastenrad), jeder mit seinem eigenen Stil. Der uns am nächsten gelegene Strand ist in einer geschützten Bucht ohne Wellen, was grossartig ist für die Kinder und auch wunderbar zum Schnorcheln. Wir können von den Stränden aus Wale beobachten, welche zweimal jährlich der Küste entlang migrieren. Und anstelle von Spatzen fliegen hier Loris, Kakadus und Flughunde durch die Luft. Die Fauna ist überhaupt sehr beeindruckend – in unserem Garten wohnt zum Beispiel ein Opossum. Und auch die Vegetation, insbesondere all die Eukalyptusbäume und die für uns ungewohnten Blumen (Waratahs, Banksien, Strelitzien etc.), sind wunderschön. Da ich nur jedes achte Wochenende Dienst habe, verbrachte auch ich die meisten Wochenenden damit, von der Natur in und rund um Sydney zu profitieren. Wir haben Jahreskarten für den Taronga Zoo, einen direkt am Hafen von Sydney gelegenen Zoo mit spektakulärer Aussicht auf die Skyline von Sydney.

Weitere Highlights von Sydney sind das Essen und der Kaffee! Die Früchte sind unglaublich gut – direkt vor unserem Haus wächst ein Avocadobaum. Und die Mangos sind himmlisch. Die Qualität des indischen, thailändischen, vietnamesischen etc. Essens ist aussergewöhnlich. Wir essen hier sehr gut. Der Kaffee ist auch grossartig. Es gibt überall Cafés, die allesamt exzellenten Kaffee servieren. 

Zusammenfassend kann ich sagen, es war eine sehr bereichernde Erfahrung – sowohl beruflich als auch persönlich. Während ich mich auf die Rückkehr nach Hause in die Schweiz freue, weiss ich auch, dass ich meine neuen Freunde und die Natur hier vermissen werde. Für all dies möchte ich sowohl der Trauma-Abteilung des Liverpool Hospitals für meine wundervolle Zeit hier als auch dem Team des Spitalzentrums Biel für die Unterstützung bei der Verwirklichung dieser Gelegenheit danken.

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